Peter Hollo gilt als eine der Personen, die die Spielware auch hinter den Kulissen beeinflusst und bewegt. Er gilt als erstklassiger Netzwerker, kritischer Denker und profunder Kenner der Branche. Mit seinem Unternehmen Ph – International Consultants berät auch auf Vorstands- und Geschäftsführerebene, lenkt die Geschicke von Licensing International in D-A-CH und ist Herausgeber des digitalen TOYS & GAMES Report. In unserem heutigen Blogpost verrät uns der Branchenkenner, was die Spielware zurzeit bewegt und welche Trends uns 2022 erwarten.

Gleich reichlich Ehrlichkeit zu Anfang: Auch dieses Jahr wird es wieder ein Thema geben, das irrsinnig abräumen wird. Und keiner, auch ich nicht, hat es heute auf dem Schirm. So war das all die Jahre zuvor und so wird es vermutlich immer bleiben. Spielware ist ein sehr komplexes und hoch kompetitives Geschäft, und alles andere als ein Kinderspiel. Dennoch gibt es eine Reihe von Trends, welche aus meiner Sicht die nächsten Monate, oder vielleicht sogar Jahre, bewegen werden.

Wichtig zu verstehen ist, dass es bei diesen Trends nicht immer ein entweder oder gibt. Sondern, dass sich einige Trends vollkommen gegenläufig, vielleicht sogar widersprüchlich entwickeln werden.

Dabei ist vieles sicher sehr viel komplexer als im Folgenden dargestellt, aber dem Format geschuldet geht es an dieser Stelle um keine akademischen Betrachtungen, sondern um einen realitätsnahen Abriss.

Retro als sicherer Hafen

Immer dann, wenn die Zeiten schwierig werden, wenn die Umwelt als eher komplex und bedrohlich wahrgenommen wird, dann besinnt man sich gerne auf Altbekanntes. Das führt im schlimmsten Fall zu erzreaktionären politischen Ansichten und in einem der besseren Fälle zu einer Rückbesinnung auf Marken, Produkte und Themen, die man schon seit der Kindheit kennt. Jene Marken, Produkte und Themen, die sich anfühlen wie eine kuschelige Decke oder eine warme Tasse Hühnersuppe.

Es wird gerne und viel geschrieben über die Macht der Kinder und die Macht ihres Taschengeldbeutels. Ja, mag sein. Aber eines sollten wir nicht vergessen: die zwei Gatekeeper, die auf der einen Seite ganz massiv beeinflussen, was gekauft und auf der anderen Seite ganz alleine darüber entscheiden, was angeboten wird.

Eltern und Großeltern reden immer ein gewichtiges Wörtchen mit, was gekauft wird. Dinge, die sie kennen und zu denen sie eine positive Verbindung haben, ob in ihrer eigenen Kindheit oder später erworben, beeinflussen ihr Kaufverhalten nachhaltig und mittelbar auch das der Kinder. Das ist eine riesige Chance für diejenigen in der Branche, die ihre Produkte und ihre Marken auf der Basis traditioneller Werte frisch gehalten und weiterentwickelt haben. Ohne Skandale, ohne negative Konnotation. An die Zeit angepasst, ohne jedem Zeitgeistschnipsel hinterher zu laufen.

Der zweite Gatekeeper, das ist der Handel. Der Handel entscheidet autonom über das Angebot. In schwierigen Zeiten geht der Handel kein Risiko mit neuen Produkten ein, sondern verlässt sich auf altbewährtes und altbekanntes. Das kann man jetzt gut oder schlecht finden und diese Tendenz der Innovationsskepsis ist auch in Deutschland vielleicht deutlicher präsent als anderswo. Aber dieses Verhalten bestimmt nun einmal den Markt. Und macht es neuen Unternehmen oft sehr schwer, gerade in unsicheren Zeiten, in der Branche Fuß zu fassen.

Beides zusammengenommen führt das zu einer Überrepräsentation von Produkten und Marken mit Tradition und zu einer Unterrepräsentation von neuen Marken, Produkten oder Kategorien. Das wird selbst nach der Pandemie noch mittelfristig so bleiben.

Streaming ist das neue Kino

Auch wenn sich bei der ein oder anderen Streamingplattform derzeit eine gewisse Sättigung einstellt. Streamingplattformen, das sind nicht nur die Gewinner der Pandemie, sondern haben langfristig die Art und Weise verändert, wie multimediale Inhalte konsumiert und erlebt werden. Und dabei geht es nicht nur um Netflix und Co. Hier geht es auch um Plattformen wie Youtube und vor allem um TikTok. Auch wenn wir alle wieder in die Kinos dürfen, das wird an der einmal gewonnenen Macht, den enormen internationalen Reichweiten und dem massiven Einfluss nichts ändern.

Zum einen sind Streamingplattformen für die Spielware die Kanäle der Wahl zur direkten und ungefilterten Zielgruppenansprache. Und zum anderen werden aus den Streaminginhalten, den Themen, Serien und Characters ganz neue Spielwarenwelten kreiert und millionenfach in der Zielgruppe verankert. Es liegt nun an der Branche, das in entsprechende Produkte und Angebote umzusetzen.

Kino ist das neue Kino

Ich hatte es ja schon am Anfang erwähnt. In der etwas komplexen Welt da draußen gibt es nicht immer ein entweder oder. Genauso wie Streamingdienste ihren Siegeszug fortsetzen werden, wird auch das Kino die nächsten Monate die große Wiederauferstehung erleben und massiven Einfluss auf die Spielware haben.

Kino ist mehr als Filme auf der großen Leinwand gucken. Kino ist ein soziales Ereignis, das weit über den bloßen Filmkonsum hinausgeht. Und die Menschen wollen raus! Die Pandemie hat sie lange genug eingesperrt.

Die großen Filmstudios sitzen derzeit auf einem gigantischen Berg von angestautem Content. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann beide Faktoren aufeinandertreffen. Wann die Zielgruppe wieder in die Kinos darf und wann die Schleusen der großen Studios geöffnet werden. Kommt das zusammen hat das das Potenzial zu der perfekten Welle oder zum absoluten Overkill. Kinocontent getriebene Themen werden den Spielwarenmarkt in nie dagewesener Vielfalt geradezu überrollen. Dabei kommt dann in so kurzer Zeit so viel Content auf den Markt, dass es selbst üblicherweise erfolgsverwöhnte Franchises schwer haben werden, bei der schieren Masse an Wettbewerb sichtbar zu bleiben und über das reine Kinoerlebnis hinaus als Merchandise zu bestehen.

Der Rückzug ins Private

Wir hatten das schon weiter oben beim Thema „Retro als sicherer Hafen“. In Krisenzeiten, immer dann, wenn die Welt draußen als besonders komplex und bedrohlich empfunden wird, dann werden alte Werte wiederentdeckt. So wie das Drinnen – my Home is my Castle. Dazu gehört nicht zuletzt …die Familie. Man zieht sich zurück in den Schutz des häuslichen und des privaten.

Jetzt könnte man sagen, das war ja nicht anders möglich. Ja, stimmt. Aber es ist eben doch eine uralte fest im Menschen verankerte Verhaltensweise und nicht nur das Ergebnis pandemiebedingter staatlicher Eingriffe. Deswegen ist es kein Zufall, dass Puzzles, Beschäftigung oder Gesellschaftsspiele derzeit so erfolgreich sind. Und es noch mittel- bis langfristig bleiben werden.

Unternehmen, übrigens nicht nur in der Spielware, sondern in fast allen anderen Branchen, die diesen Trend erfolgreich und authentisch bedienen, werden die nächsten Monate weiterhin enorm erfolgreich sein. Und was noch wichtiger ist, schaffen diese Unternehmen es, sich selbst als Lagerfeuer in einer schwierigen Zeit zu positionieren, dann implementieren sie damit generationsübergreifende Loyalitäten. Wer sich in zwanzig Jahren immer noch an die schönen (Corona-)Spieleabende mit der Familie und die damit verbundenen Produkte und Marken erinnert, wird das auch an die eigenen Kinder weitergeben.

Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter. Diejenigen Unternehmen, die jetzt positiven Werte wie Geborgenheit, Friedfertigkeit, Verständnis, Achtsamkeit, Zusammengehörigkeit oder Empowerment in starke Produkte und Services übersetzen, legen damit den Grundstein für eine langfristig positive Wahrnehmung und Positionierung weit über eine Generation hinaus. In Krisen werden immer Klassiker geschmiedet.

Kidults – Nerds werden Mainstream

Ich oute mich jetzt mal. Ich bin 58 Jahre alt, baue immer mal wieder gerne ein Modell von Lego, habe selbstverständlich den VW Bus und den Käfer von Playmobil und die ein oder andere Figur von FunkoPop. In meinem Büro stehen neben sehr vielen Büchern jede Menge nerdige Dinge, die ich toll finde. Besonders spreche ich da, zum Beispiel, über den Standard Communicator der U.S.S. Enterprise.

Was früher noch für Kopfschütteln gesorgt hat (und es heute vielleicht auch noch tut), das ist inzwischen im Mainstream angekommen. Und damit meine ich nicht die Erwachsenen, die Gesellschaftsspiele spielen, das ist ein alter Hut. Ich meine damit Menschen, die vollkommen befreit ihre nerdy Side ausleben. Mit Bausätzen, mit Collectibles und vielem mehr. Eine weit über die bloße Nische hinausgehende Zielgruppe, die sich das einfach leisten kann und will. Zu Preispunkten, welche „die übliche Spielware“ neidisch macht.

Denn Geld ist da. Die Pandemie hat dafür gesorgt, dass viele Ausgaben, die sonst z.B. in Reisen oder in Autos geflossen wären, jetzt zur freien Verfügung stehen. Im Bereich Fashion und Accessoires haben wir gerade das Phänomen, dass Luxusmarken gekauft werden, wie niemals zuvor.

Auch wir in der Spielware dürfen uns da etwas trauen.

NFTs und das Metaverse

NFTs, das sind non fungible Tokens, das sind grob übersetzt, nicht ersetzbare Zertifikate. Oder ganz simpel, das ist digitaler Besitz. Digitaler Besitz der gekauft und verkauft werden kann, der Rechte und Pflichten beinhaltet, so wie realer Besitz auch. Das heißt, übersetzt in unsere Welt, zukünftig können Sie digitales Spielzeug, das „nur“ virtuell existiert, kaufen, besitzen, sammeln, verschenken oder wiederverkaufen. Spielzeug, das nur Ihnen gehört und das kein anderer einfach kopieren oder ihnen wegnehmen kann.

Das klingt jetzt ein wenig abstrakt, ist es auf den ersten Blick auch, ist aber das ganz große Ding, was da gerade auf uns zurollt. Und ich kann nur alle in der Spielware bitten sich mit diesem Trend intensiv zu beschäftigen, ihn anzunehmen und in eigene Produkte und Dienstleistungen zu übersetzen.

Wir hatten vor einigen Jahrzehnten schon einmal etwas, was mit ähnlicher Wucht auf die Spielware zugekommen ist. Das waren die Videospiele. Damals und noch viel zu lange Zeit danach hat die Branche den größten Fehler ihrer Geschichte gemacht. Anstatt dieses Medium zu umarmen hat man auf es geschossen. Man hat sogar veritable Professoren bemüht, die über den Untergang des Abendlandes doziert und über eine Gesellschaft in Anarchie und Gewalt schwadroniert haben. Es ist dann nicht so gekommen, ein gütiges Schicksal hat das verhindert.

Wir erinnern uns daran. Diese Bräsigkeit, diese Ignoranz dieser herablassende Umgang. Das darf der Spielwarenbranche bei dem Thema NFTs nicht mehr passieren.

Wem NFTs zu abstrakt sind, der bekommt jetzt vielleicht Schnappatmung. Das Metaverse ist derzeit ein Gedankenkonstrukt. Dennoch investieren Unternehmen wie Facebook, Microsoft oder Nvidia schon heute Milliarden in dessen Entwicklung. Das Metaverse ist ein permanent in Echtzeit wachsendes und agierendes Netzwerk aus digitalen Welten, bestehend aus digitalen Identitäten und Objekten. Mit eigener Geschichte, eigener Währung und eigenen (Rechts-) und Wertesystemen. Eine digitale mixed Reality mit fließenden Grenzen zur realen Welt. Nicht etwas, was man sich von außen anschaut, wie ein Videospiel, sondern eine Welt, in die man eintaucht.

Wer sich jetzt fragt, was ich sonst so konsumiere, Fehlanzeige. Das Metaverse wird kommen und gegen das Metaverse wird die Einführung des Internets in den 1990er Jahren nicht mehr gewesen sein als ein laues Lüftchen. Diese Revolution wird alles auf den Kopf stellen, was jemals existiert hat. Mit allen Vorteilen, Nachteilen und selbstverständlich auch Gefahren.

Dennoch wohl dem, der sich jetzt schon darauf einstellt. Dabei geht es nicht nur darum zukünftig digitale Produkte in einer digitalen Welt, in digitalen Shops mit einer digitalen Währung zu bezahlen. Es geht um sehr viel mehr. Suchen Sie sich jetzt schon die Leute für Ihr Unternehmen, die dieses Thema verstehen. Entwickeln Sie mit und beteiligen Sie sich, sonst wird diese Welle entweder an Ihnen vorbei oder ganz brutal über Sie hinweg rollen.

Nachhaltigkeit – Sustainability

Zum Schluss noch ein Trend, über den ich in der Vergangenheit schon sehr viel geschrieben habe. Vielleicht ist der Begriff Trend auch vollkommen falsch, Verpflichtung wäre möglicher Weise der bessere Begriff.

Bei Sustainability geht es um weit mehr als um Greenwashing. „Schau mal, ich verwende in meinen Verpackungen 20% weniger Plastik“, das hat mit Sustainability nichts zu tun. Es geht vielmehr darum, das gesamte System, in dem wir es uns gemütlich gemacht haben, als Ganzes zu hinterfragen. Denn wenn wir es nicht tun, unsere Zielgruppen tun das. Und besser wir selbst setzen uns an die Speerspitze der Bewegung, als dass wir immer wieder getrieben werden. Viele Unternehmen haben das bereits erkannt und haben sich sehr proaktiv der Sache angenommen. Aber selbst da ist noch einiges an Luft nach oben.

Unsere Industrie, das ist nun mal leider eine Tatsache, produziert kalkulierten Müll (so wie viele Industrien auch). Wir müssen uns jetzt die Frage stellen, wie schaffen wir es unsere Produktion und unsere legitimen finanziellen Interessen mit nachhaltigem wirtschaften in Einklang zu bringen?

Wenn es uns Ernst ist mit der Nachhaltigkeit, dann müssen wir die Produktion und die Produkte selbst überdenken. Das beginnt damit wie wir die Arbeiter*innen in den produzierenden Ländern behandeln und bezahlen, wie und wo wir zukünftig produzieren, um lange umweltschädliche energie-intensive Transportwege zu vermeiden oder mehr recycelte oder biologisch abbaubare Materialien für unsere Produkte zu verwenden. Darüber nachzudenken, welche Dienstreisen nötig sind oder nicht oder ob wir weiterhin die gewohnten Firmen- und Bürogebäude brauchen, wenn doch auch viele von zuhause arbeiten könnten. 

Was ich damit sagen will ist einfach. Nachhaltiges Verhalten ist keine werbewirksame Einzelmaßnahme, sondern ein kompliziertes Gewebe von weit verzweigten Verflechtungen, die sich alle immer wieder gegenseitig beeinflussen. Sich nur einen Einzelaspekt heraus zu picken ist nicht mehr als ein Ablenkungsmanöver, wissentlich oder unwissentlich.

So manche Industrien sind uns in dieser Sache schon ein ganzes Stück voraus. Auch was Diskussionen betrifft, die bei uns noch gar nicht begonnen haben. So hat die Diskussion um Fast-Fashion einiges an Sprengkraft und löst zunehmendes Unwohlsein und Kaufzurückhaltung auf Konsumentenseite aus. Was ist denn mit Fast-Toys? Produkte, die in immer neuen Wellen auf den Markt gebracht werden? Wohl wissend, dass vieles davon fast nahtlos in den Müll wandert? Blindpacks, die immer wieder gekauft werden, nur um endlich einmal das lang ersehnte Stück in Händen zu halten? Als Geschäftsmodell und aus finanzieller Sicht super. Aus nachhaltiger Sicht? Nun ja.

Und wer jetzt hier Verrat wittert. Ganz im Gegenteil. Du sitzt entweder auf dem Fahrersitz und lenkst oder Du bist bestenfalls Beifahrer und schaust zu. Und im schlimmsten Fall lässt man Dich sogar nicht einmal mehr einsteigen und Du bleibst zurück. Wäre es da nicht sehr viel sinnvoller sich jetzt schon als Fahrer*in zu qualifizieren?

Trends schaffen

Das war mein persönlicher Einblick in die Trends, die uns die nächste Zeit beschäftigen werden. Über jeden einzelnen Punkt könnte man sicher ein ganzes Buch schreiben. Aber so weit wollte ich heute nicht gehen. All das kann nur ein Gedankenanstoß für Dich sein. Ein Anlass sich mit diesen Themen zu beschäftigen oder für Dich selbst ganz andere Trends zu erschließen. Denn Trends kommen nicht aus dem luftleeren Raum. Trends werden gemacht. Durch jeden einzelnen. Nimm die Idee auf und geh Deinen Weg. Und wer weiß, vielleicht wird das einmal ein Trend für die ganze Industrie.